Die Propriozeptive Therapiesohlenversorgung im Kindesalter – Lydia Aich
Eine Reise ins Land des Wachsens
Im Laufe des Wachstums wechseln sich Längen- und Massenwachstum ab,
wobei die Geschwindigkeit des Wachstums in jeder Altersgruppe
unterschiedlich ist. Ein Wachstumsschema gibt grobe Anhaltspunkte in
welchem Alter welche Wachstumsschübe erfolgen sollten:
Wachstumsperioden bei Kindern
Perioden wechselnden Längen- und Massenwachstums bei Kindern und Jugendlichen
- 1. – 4. Lebensjahr
Massenwachstum (1. Fülle) - 5. – 7. Lebensjahr
Längenwachstum (1. Streckung) - 8. – 10. Lebensjahr
Massenwachstum (2. Fülle) - 11. – 15. Lebensjahr
Längenwachstum (2. Streckung) - 15. – 20. Lebensjahr
Reifung
(Längen- und Massenwachstum gleichzeitig, bei Mädchen früher als bei Jungen)
Entwicklungsphysiologie bei Kindern
Starken Einfluss auf die kindliche Statik haben in dieser Zeit die Wachstumsphasen der Hüftgelenke.
Während des Wachstums wird der Geflechtknochen in Lamellenknochen umgewandelt. Zu einem verstärkten Umbau von primärem in sekundären Osteonknochen kommt es zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr.
Der Epiphysenknorpel wird während des Wachstums normalerweise durch die Resultierende gleichmäßig auf Druck beansprucht. Durch die gleichmäßige Spannungsverteilung im Epiphysenknorpel schreitet das Längenwachstum im gesamten Epiphysenbereich gleichmäßig fort.
Mit Beginn der bipeden Lebensphase am Ende des 1. Lebensjahres setzt eine Änderung der Beanspruchung der unteren Extremität ein: Die Aufrichtung führt zu einer Verlagerung der Resultierenden nach medial. Die höhere Beanspruchung des Epiphysenknorpels auf der Innenseite bewirkt ein stärkeres Längenwachstum und eine keilförmige Umbildung des Epiphysenknorpels. Damit wandelt sich das physiologische O-Bein des Säuglings in das physiologische X-Bein des Kleinkindes um. Da durch die X-Beinbildung die Wirkungslinie der Last näher an das Kniegelenk heranrückt, trifft die Resultierende aus Körpergewicht und Bandverspannung nun wieder die Mitte des Epiphysenknorpels. Unter der gleichmäßigen Spannungsverteilung nimmt das X-Bein dann durch das Längenwachstum seine „normale“ Form an.
Zugverspannung und Biomechanik
Die anatomische Achse des Corpus ossis femoris verläuft nicht vertikal, sondern schräg von lateral-kranial nach medial-kaudal.
Für die Beanspruchung des Femurschaftes ist jedoch nicht die anatomische Schaftachse, sondern die mechanische Achse maßgebend.
- Die mechanische Achse ist die vertikale Verbindungslinie zwischen Femurkopfzentrum und der Femurkondylenmitte
- Die anatomische Achse ist gegenüber der Traglinie normalerweise um 5-7° nach außen oben geneigt
Der Femurschaft wird in der Sagittal- und Frontalebene auf Druck und
Biegung beansprucht. Als Zuggurtung zur Herabsetzung der
Biegebeanspruchung dienen Oberschenkelmuskulatur und Tractus
ilio-tibialis. Der Femurschaft ist durch die Verteilung des
Knochenmaterials im Querschnitt an die herrschende Beanspruchung
angepasst. Durch die Zuggurtung wird die Biegebeanspruchung zwar nicht
ausgeschaltet, jedoch stark herabgesetzt. Am Femur übernimmt der Tractus
iliotibialis diese Funktion bei Biegebeanspruchung in der Frontalebene.
In der Sagittalebene wirken in der Flexionsstellung die
ischiocruralen Muskeln und der M. gluteus maximus, bei Streckung im
Hüftgelenk der M. rectus femoris als Zuggurtung. Die Biegebeanspruchung
der Tibia in der Sagittalebene wird durch die Wirkung des M. triceps
surae herabgesetzt. Am Fuß haben die an der Plantarseite ziehenden
Muskeln nicht nur die Funktion, die Fußwölbung zu verspannen, sondern
auch die Beanspruchung der Mittelfußknochen herabzusetzen. Dies
geschieht vor allem durch den Einsatz der oberflächlichen kurzen
Fußmuskeln und durch die Plantaraponeurose.
Entwicklung der Hüfte
Der Schenkelhalswinkel hat bei der Geburt eine Größe von etwa 135°, nimmt bis zum Ende des 2. Lebensjahres kontinuierlich zu und erreicht einen Maximalwert von etwa 150°. Vom 3. Lebensjahr an wird der Schenkelhalswinkel kleiner. Am Ende des Wachstums hat er den für das Erwachsenenalter typischen Normalwert von etwa 125° bei Frauen und 127° bei Männern.
Bleibt die physiologische Coxa valga des Kleinkindes bis ins
Erwachsenenalter bestehen, so hat dies nicht a priori Krankheitswert,
sondern ist als Variante anzusehen. In solchen Fällen wird der Körper
sich durch ein leichtes Absinken im Fußwurzelbereich – rein optisch
stellt sich hier ein Knick-Senk-Fuß dar – eine optimierte
Achsenbelastung für die Biegebeanspruchung des Femur einstellen.
Der
Schenkelhalswinkel hat großen Einfluss auf die Beanspruchung des Collum
ossis femoris. Der Schenkelhals wird physiologischerweise auf Druck und
Biegung beansprucht.
Bei der Coxa vara nimmt die Biegebeanspruchung – und damit die
Beanspruchung insgesamt – zu, da in Folge der starken
Schenkelhalsneigung die belastende, resultierende Kraft weit außerhalb
des Kerns des Schenkelhalses verläuft.
Bei der Coxa valga verläuft die resultierende Kraft innerhalb
des Kerns des Schenkelhalses, so dass dieser nur eine
Druckbeanspruchung erfährt. Die Beanspruchung des Collum ossis femoris
ist demzufolge bei der Coxa valga niedriger als bei der Coxa vara und
beim normalen Schenkelhalswinkel.
Der Pfannenneigungswinkel beträgt beim Neugeborenen etwa 30°
und beim Erwachsenen etwa 42 °. Von der Größe des Neigungswinkels hängt
die Überdachung des Femurkopfes durch die Hüftpfanne ab. (= AC Winkel
und CE- Winkel)
Das Maß für die Überdachung und damit die Größe der Tragfläche des
Femurkopfes durch das Acetabulum ist beim Kind der sog. Acetabulum oder
Pfannenwinkel. (AC-Winkel) . Der eingeschlossene Winkel soll beim
Säugling etwa 30°, beim einjährigen Kind etwa 25° und beim
Fünf-zehnjährigen unter 10° betragen. Ein weiteres Maß für die Größe der
Tragfläche und für die Stellung des Femurkopfes ist der sog. Centrum –
Ecken – Winkel (CE- Winkel). Er kann erst dann röntgenologisch bestimmt
werden, wenn der Knochenkern im Femurkopf sichtbar wird. Der CE-Winkel
wird von einer durch den Femurkopfmittelpunkt ziehenden vertikalen Linie
und einer vom Kopfzentrum zur Pfannendachdecke gezogenen Linie
gebildet.
Im 1. und 2. Lebensjahr ist der CE-Winkel unter 10° als pathologisch zu bewerten.
Vom 3.-14. Lebensjahr soll ein Winkel von 15° nicht unterschritten
werden. Von der Mitte des 20. Lebensjahres an wird als unterer Grenzwert
ein CE-Winkel von 20° angegeben. Er beträgt normalerweise beim
Erwachsenen etwa 30°.
Der Anteversionswinkel
(Antetorsionswinkel )
Die Anteversion des Femur nimmt von der 2. Hälfte der Fetalperiode an beständig zu und erreicht im 2. Lebensjahr mit einem Anteversionswinkel von ca. 35° ihren Höhepunkt. Danach wird der Winkel kleiner und verändert sich bis ins Erwachsenenal-ter auf typische 12° (10°-15°) Der Spielraum der Normwerte beträgt 10-30°
Ein größerer Antetorsionswinkel lässt im Hüftgelenk eine größere
Innenrotation zu als es dem Normwert entsprich Ein geringerer
Antetorsionswinkel bewirkt eine verstärkte Außenrotation. Die
Antetorsion bewirkt eine relative Innenrotation des distalen Femurendes,
feststellbar an der Querverbindung der beiden Femurepicondylen. Die
Tibia antwortet mit einer Gegentorsion die im Mittelwert 23° beträgt. Zu
beurteilen ist dies am Winkel zwischen der Querverbindung im
Tibiaplateau und distal zwischen den beiden Malleolen.
Die
anatomische Fußlängsachse verläuft durch den 2. Strahl am Fuß. Die
Flex./Ex.-Achse im OSG und die anatomische Fußlängsachse bilden
zueinander einen rechten Winkel.
Die Differenz zwischen 12°
Antetorsion um 23° Tibiatorsion ergibt 11°. Um diesen Betrag weicht die
funktionelle Fußlängsachse, die die Vorwärtsbewegung angibt, von der
anatomischen Fußlängsachse ab. Da dies mittlere Normwerte sind, ist gut
vorstellbar, dass die Variationsbreite im sog. Rahmen der Norm erheblich
ist. Die Beuge- Streck-Achsen von Hüftgelenk, Kniegelenk und
Großzehengrundgelenk sollen im aufrechten Stand bei leichter
Flexionsstellung in der Hüfte und Knie parallel zueinander stehen. Die
funktionelle Fußlängsachse ist nach vorne gerichtet.
Entwicklung des Sacrums
Die Verschmelzung der Sakralwirbel zum Os sacrum beginnt im 15. Lebensjahr und schreitet in kranio-kaudaler Richtung fort. Zuerst verwachsen die Bögen und Rippenfortsätze, dann die Dornfortsätze und schließlich die Wirbelkörper. Der Prozess ist zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr abgeschlossen.
An den Bandscheiben des Os sacrum kommt es zu charakteristischen Rückbildungsvorgängen. Die physiologische Knochenbildung in den Disci intervertebrales des Sacrums beginnt im 15.-16. Lebensjahr wobei zuerst die beiden mittleren verknöchern, dann folgt die Verknöcherung der 4. und zuletzt die der 1. Zwischenwirbelscheibe. Der Prozess dauert bis in das 40. Lebensjahrzehnt.
Varianten:
In 50% der Fälle findet man fünf Sakralwirbel. In etwa
einem Drittel der Fälle ist die Anzahl der Sakralwirbel auf sechs
erhöht. Die Vermehrung der Sakralwirbel kann auf einer Sakralisation des
5. Lendenwirbels oder auf die Einbeziehung des sakralen
Steißbeinabschnitts in das Os sacrum beruhen. Vergleichsweise selten ist
eine Verminderung der Sakralwirbel.
Asymmetrien des Os sacrum
beruhen auf einseitigem Fehlen der 1. Sakralrippe oder auf einseitigem
Auftreten einer starken Rippe am 5. Lendenwirbel an Stelle des
gewöhnlichen Rippenrudimentes. Die beiden kranialen Gelenkflächen liegen
in solchen Fällen in unterschiedlicher Höhe und beeinflussen dadurch
die Form des Beckens.
Knochenbildung des Femur
Der distale Epiphysenkern erscheint am Ende der Fetalzeit. Sein Vorhandensein bei der Geburt wird als Reifezeichen bewertet.
- Die Knochenbildung in der proximalen Epiphyse beginnt in der 2. Hälfte des 1. Lebensjahres.
- Der Knochenkern im Trochanter major erscheint nach dem 3. Lebensjahr.
- Im Trochanter minor beginnt die Knochenbildung erst um das 12. Lebensjahr.
- Der Schluss der proximalen Epiphysenfugen und der Apophysenfugen erfolgt zwischen dem 16.-und 20. Lebensjahr.
- Die distale Epiphysenfuge schließt sich erst um das 20. Lebensjahr. Das Femur wächst also distal stärker als proximal.
Entwicklung des Talus
Die endochondrale Osteogenese beginnt im Talus im 7.-8. Fetalmonat. Sie geht von einem oder zwei Knochenkernen aus. Das Tuberculum laterale am Prosessus posterior kann sich aus einem eigenen apophysären Knochenkern entwickeln. Kommt die Verschmelzung mit dem übrigen Teil des Corpus tali nicht zustande, so bleibt die Apophyse als selbständiges Skelettelement, Os trigonum , bestehen, welches in ca. 6% der Fälle beobachtet wird.
Entwicklung des Calcaneus
Die Knochenbildung im Calcaneus setzt zwischen dem 5. und 6. Fetalmonat ein. Im Tuber calcanei erscheint zwischen dem 9. und 11. Lebensjahr ein eigener apophysärer Knochenkern, der nach dem 14. Lebensjahr normalerweise mit dem übrigen Teil des Calcaneus verschmilzt. Als Formvariante kann sich die Apophyse des Tuber calcanei stark vorwölben und unter dem Schuhdruck Schmerzen hervorrufen = sog. Haglund`sche Exostose.
Entwicklung des Os naviculare
Die Knochenbildung setzt im 4. Lebensjahr ein. Verknöchert die Tuberositas ossis navicularis über einen eigenen Knochenkern und bleibt später die knöcherne Verschmelzung mit dem übrigen Teil des Os naviculare aus, so bezeichnet man den aszessorischen Knochen als Os tibiale externum. Es ist über eine Synchondrose mit dem Kahnbein verbunden und kommt bei ca. 10% aller Erwachsenen vor. Der Knochen liegt plantar im Lig. calcaneona-viculare eingebettet. Ein Os tibiale exterrum kann Beschwerden verursachen.
Entwicklung des Os cuneiforme
Der Knochenkern des Os cuneiforme laterale erscheint im 1. Lebensjahr. Im Os cuneiforme intermedium setzt die Knochenbildung im 4., im Os cuneiforme mediale im 3. Lebensjahr ein.
Änderungen bis zum Erwachsenenalter
Vom Säugling bis zum Erwachsenen ändert sich die Torsion und Rotation des Beines erheblich. Die Kenntnis ist für die Diagnose und Therapie von Fußformveränderungen von Bedeutung. Dabei beeinflussen sich die Achsen und Torsionen in den einzelnen Beinsegmenten gegenseitig, so dass die Beinachse, die bei der Geburt varisch ist (ca. 15°) durch ein vermehrtes Wachstum des medialen Femurcondylus ausgeglichen wird. Bei Gehbeginn ist die Knieachse nahezu in Neutralstellung, dann wird die Beinachse vermehrt valgisch, beim Erwachsenen wieder gerade. Bei Geburt besteht eine vermehrte Antetorsion des Schenkelhalses und ein vergrößerter Talusneigungswinkel. Die Tibia ist in Neutralstellung. Durch die vermehrte Antetorsion und Adduktionsstellung des Talushalses steht der Fuß beim Neugeborenen in Neutralstellung. Die im Laufe des Wachstums auftretende Außenrotation der Tibia wird durch eine Abnahme des Talusneigungswinkels aufgehoben. Durch die Reduktion der Antetorsion gerät der Fuß in Außenrotationsstellung von ca. 20°. Eine vermehrte Antetorsion kann funktionell durch eine Innenrotation ausgeglichen werden. Da der Ausgleich der Antetorsion erst im 12. Lebensjahr abgeschlossen ist erklärt mit der physiologischen Valgusstellung des Kniegelenks, warum die Kinder oft über den „großen Onkel“ laufen.
Beckenverwringungen bei Kindern
K. Lewit hat in einer Reihenuntersuchung festgestellt, dass über 40% aller Kinder Beckenverwringungen aufweisen. Im Schulalter fand er bei 15,8% und im Kindergartenalter 4,4% der Kinder Blockierungen in der HWS.
- Bei Neugeborenen führt die Drehung oder Neigung des Kopfes zur Seite
normalerweise zu Stellreflexen. So schwenkt das Becken bei Kopfdrehung
zur Gegenseite. Die Störung dieser Reflexe benutzt KUBIS zur
Funktionsdiagnose der Kopfgelenke.
Erstaunlich ist, dass schon 1974 eine Untersuchung von 1.093
Neugeborenen nach dieser Technik diagnostiziert wurde. Hier zeigte sich
bei 298 Kindern eine solche gestörte Reaktion. Bei 58% dieser Kinder
ließ sich im Verlauf von 4 bis 9 Monaten eine Kopfgelenksblockierung mit
Hilfe der üblichen diagnostischen Techniken nachweisen.
Bei der
Beckenverwringung handelt es sich um eine Stellungsasymmetrie, bei der
die Beweglichkeit der ISG`s nicht eingeschränkt sein muss. Die cervicale
Blockierung ist aber eine eindeutige Funktionsbehinderung. Bei Kinder
und Jugendlichen mit chronischer Tonsillitis fand er jedoch in 90%
Kopfgelenksblockierungen vor allem zwischen Occiput und Atlas.
Funktionsstörungen der WS lösen bereits im Kindesalter viel häufiger Beschwerden aus, als allgemein angenommen wird.
Diese Störungen sind aber noch häufiger klinisch latent. Schon allein
Beckenverwringungen und cervicale Blockierungen betreffen zusammen über
50% untersuchter Schulkinder. Muskuläre Fehlsteuerungen sind noch
häufiger, allerdings nicht so konstant.
- Funktionsstörungen treten viel früher auf als die morphologisch-degenerativen Veränderungen. Sie müssen deshalb als primär angesehen werden.
- Funktionsstörungen können allein, ohne degenerative Veränderungen, klinische Symptome verursachen.
Formgebende Wachstumsphasen bei Kindern
In der propriozeptiven Versorgung bei Kindern sind die formgebenden Wachstumsphasen, die jeweils mit Schüben zwischen April und September erfolgen von großer Bedeutung. Vor allem die Entwicklung der Hüfte bedingt ein diffiziles Vorgehen.
Von der Lauflernphase (ca. 1. Lebensjahr) bis in die Pubertät (ca. 14. Lebensjahr), in der die Form des Hüftgelenks komplett ausgebildet ist, kommt es immer wieder zu massiven „rotatorischen“, Formgebenden Wachstumsschüben, die nicht unbedingt einem spezifischen Alter zuzuordnen sind. Hier spielen wohl genetische Faktoren eine wesentlichere Rolle.
Nach Abschluss der Hüftentwicklung werden die nichtkontraktilen Strukturen kompakter und stabilisieren somit zusätzlich die Statik.
Im Gegensatz dazu stellt das Sacrum eine Besonderheit dar, denn der Verknöcherungsprozess der Sakralwirbel ist hier bei weitem noch nicht abgeschlossen. Wenn man bedenkt, dass die komplette Verschmelzung und damit erfolgende Verknöcherung als Prozess mit dem 38. Lebensjahr ihre letztendliche, kompakte Form erreicht, so ist nachvollziehbar, welch großen Einfluss das cranio-sacrale System hier nehmen kann, wenn dessen Funktion durch bestimmte, absteigende Faktoren gestört ist oder wird.
Bezogen auf die Muskelketten des orthostatischen Systems besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Beckenstellung – also somit auch der Positionierung der Hüftgelenke – und den Kiefergelenken. Liegt eine muskuläre Dysbalance aufgrund einer funktionellen Beinlängendifferenz vor, so spiegelt sich diese in der Funktion des craniomandibulären Spiels wieder.
Auffallend ist eine erhöhte muskuläre Spannung, die sich bei KFO-Versorgungen immer wieder absteigend über die gesamte WS in die LBH-Region projiziert, wobei sich dann ein massives Problem ergibt, wenn es sich um eine ursächlich spenaobasiläre Skoliose handelt.
Im Gegensatz zu den Längenwachstumsschüben, die seitengleich
erfolgen, sind formgebende Wachstumsschübe immer einseitig. Der
kindliche Organismus verlagert im langsam einsetzenden Schub das Gewicht
zur gegenüberliegenden Seite um die dreidimensionale Formveränderung zu
gewährleisten. Dieser Zeitraum dauert ca. 4 Wochen, dann wechselt die
Seite und der Körper kann auf der zuerst belasteten Körperhälfte
nachziehen.
Zu dieser „Formgebung“ zählen 3 Faktoren:
Pfannendachwinkel, Oberschenkelhalswinkel und Antetorsionswinkel der
Hüfte. Es erfolgen nie alle 3 Schübe gleichzeitig wie mir scheint,
sondern immer aufeinanderfolgend, wobei der Antetorsionswinkel erst mit
ca. 8- 9 Jahren deutlicher wird.
Bei Kindern mit angeb. Dysplasie
kann sich dieser Zeitraum noch weiter hinauszögern (ersichtlich an der
etwas längeren X-Beinphase oder den stärker ausgeprägten physiologischen
Knickfüßen). Manche Kinder haben eine einseitige Wachstumsverzögerung
der Hüftentwicklung, z. B. oft bei Zwillingen auftretend. So kann es
immer wieder vorkommen, dass sich z. B. auf einer Seite der
Schenkelhalswinkel noch aufgerichtet hat und die andere Seite über die
Herbst-Wintermonate „hinterherhinkt“. Das hat eine funktionelle
Beinlängendifferenz zur Folge. Mein Bestreben liegt in diesen Fällen
darin, das muskuläre Gleichgewicht einzustellen um die Flexibilität der
Strukturen zu erhallten, die Beckenpositionierung zu neutralisieren und
damit Fehlmuster zu verhindern. Immer mit dem Ziel, dem kindlichen
System eine gute Vorraussetzung für die nächsten formgebenden Schübe zu
verschaffen. In Zusammenarbeit mit Zahnärzten und Kieferorthopäden kann
über die propriozeptive Therapiesohlenversorgung sowohl eine
Unterstützung der Kieferregulierung als auch eine Harmonisierung des
kompletten Systems erarbeitet werden. Dringend erforderlich sehe ich das
in allen Fällen, in denen eine idiopatische Skoliose mit einer
Kieferregulation versorgt wird. Hier ist ein interdisziplinäres Arbeiten
verschiedener Kompetenzen zum Wohle und der Gesundheit des Kindes
unabdingbar.
Meiner Erfahrung nach sollten Kinder in den Sommermonaten nicht mit
Einlagen, weder mit passiven noch mit aktiven, versorgt werden.
Ausnahmen bilden Schmerzzustände oder neurologische Grunderkrankungen,
sowie sog. idiopatische Skoliosen. Wobei ich zu letzterem ein
reduziertes Tragen der propriozeptiven Versorgung während der
Sommermonate empfehle.
© Lydia Aich
Literatur aus:
Anatomie des Menschen – Rauber / Kopsch
Manuelle Medizin – K. Lewitt
Kinderorthopädie – K. Buckop
Funktionelle Bewegungslehre – S. Klein-Vogelbach
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