Die Änderung des Gangbildes während der Schwangerschaft – M.A.Visbeen, Suriname
Die Schwangerschaft kann bekanntlich zu signifikanten Änderungen der
Haltung führen. Änderungen im Gangbild während der Schwangerschaft sind
aber noch wenig dokumentiert.
Die folgende Studie der Fußabdrücke
von 25 schwangeren Frauen während der ersten drei Monate der
Schwangerschaft bis kurz nach der Geburt zeigt eine deutliche Zunahme in
der Basis des Gangbildes. Die festgelegten Änderungen des Gangbildes
sind möglicherweise eine Kompensation zur Verbesserung der
Bewegungsstabilität und können eine wichtige Rolle in der Funktionalität
der Füße und der Entwicklung von Pathologien der unteren Extremität
während der Schwangerschaft spielen.
Damit die Entwicklung des Kindes gut verläuft und eine normale Geburt
stattfinden kann, finden während der Schwangerschaft große
Veränderungen in der Struktur und Funktion des weiblichen Körpers statt.
Mehrere dieser Veränderungen, wie Gewichtszunahme, Hypotonie der
Ligamente und Änderung der normalen Morphologie der Wirbelsäule,
beeinflussen die Haltung und das Gangbild der schwangeren Frau. Diese
Änderungen sind eigentlich nur von kurzer Dauer, können aber auch zu
posturellen Abweichungen führen, wie Beschwerden der LWS und der unteren
Extremität. Dieses sind Beschwerden die man häufig bei Schwangeren
feststellen kann und die zu einer erheblichen Einbußung an Beweglichkeit
und damit an Unabhängigkeit führen kann. Trotz dieser oft
festgestellten Veränderungen am Halte- und Bewegungsapparat und der
vermuteten Zusammenhänge mit der Schwangerschaft gibt es wenig Studien ,
vor allem auf dem Gebiet der biomechanischen Änderungen.Untersuchungen
zeigten eine statisch-posturelle Änderung der Lendenlordose und eine
Verschiebung des Körperschwerpunktes nach anterior.
Fallstudien
sprechen von der Entwicklung eines Genu Valgum (X-Bein), breiter werden
der Schrittbreite (Gelängion) und einer verstärkten Abflachung des Fußes
(kein pathologischer Plattfuss). Mehrere dieser Änderungen sind
wahrscheinlich die Folge von verschiedenen zusammentreffenden Faktoren
von u.a.Hypotonie der Ligamente und der Gewichtszunahme.
Soweit uns bekannt, gibt es nur 3 Studien in denen das Gangbild und die Haltung während der Schwangerschaft studiert wurde.
Tavis u.a. zeigten in einem Film über 2 junge schwangere Frauen die
Körperbewegung in der Sagittalebene und dokumentierten die räumlichen
Parameter von Schritt und Staplänge. Sie stellten fest, dass es hierbei
keinen signifikanten Unterschied zwischen schwangeren und
nicht-schwangeren Frauen gab.
Bemerkung:
Es wurden nicht alle
Parameter für den Halte- und Bewegungsapparat kontrolliert, daher sind
Änderungen in anderen Segmenten des Gangbildes nicht auszuschließen.
Golomer untersuchte das Gangbild von 10 schwangeren Frauen in der Zeit zwischen dem 3. und 8. Schwangerschaftsmonat, wobei die Frauen ein extra Gewicht tragen mussten. Die Laufgeschwindigkeit änderte sich während der Schwangerschaft nicht. Somit konnte man nachweisen,dass der Körper sich an die posturellen Änderungen anpasst damit die Energie während des Gehens optimal genutzt wird.
In einer neueren Studie von Foti u.a. wurden 10 Frauen in der 2.
Hälfte des letzten Drittels sowohl 1 Jahr nach der Schwangerschaft
beobachtet.Hier wurde eine dreidimensionale Videoanalyse gemacht und
eine computergesteuerte Gangbildanalyse angefertigt, wobei Kinematik und
Kinetik von Hüften, Knie und Knöchel untersucht wurden.
Diese
Studie zeigte, dass charakteristische Merkmale wie z.B. der „Wackelgang“
bei schwangeren Frauen, der möglicherweise die Folge von der geänderten
Fußstellung und dem geänderten Fußabstand sein könnte, nicht deutlich
anders waren während als nach der Schwangerschaft.
Die Schlussfolgerung dieser Studie war, dass die Änderungen im Gangbild während der Schwangerschaft äußerst gering sind.
Da es so wenig Literatur und Untersuchungen zu diesem Gebiet gibt,
wurde vorgeschlagen diese prospektive Studie durchzuführen.Es wurde
untersucht ob eine Schwangerschaft Einfluss hat auf die Abstand- und
Eckparameter des Gangbildes, wobei die Fußabdrücke während der
verschiedenen Schwangerschaftsperioden miteinander verglichen wurden.
Untersuchung und Methodik:
Die Gruppe der untersuchten Frauen besuchten alle eine Schwangerschaftsklinik und wurden für die Untersuchung in der 12. Schwangerschaftswoche (+-4 Wochen) (Durchschnittlich 13.00 +- 2.24 Wochen) ausgewählt. Dieser Unterschied in der Zeit wurde von den Untersuchern akzeptabel genannt, vor allem da es für alle untersuchten Frauen der ersten Besuch in dieser Klinik war und angenommen wurde, das in den ersten Wochen der Schwangerschaft keine Änderung des Gangbildes auftritt. Weitere spezifische Selektionskriterien fanden nicht statt. Von den 34 Frauen die bei der Studie anfänglich mitmachten stiegen 9 Frauen zwischenzeitlich aus. Gründe für den Ausstieg waren u.a. eine Frühgeburt, ein Umzug oder Erkrankung während der Schwangerschaft. 25 Frauen beendeten die Untersuchung wie geplant. Für 15 Frauen war es die erste Schwangerschaft, 10 Frauen hatten schon eine frühere Schwangerschaft.
Während des ersten Gesprächs wurden Alter, Gewicht und Körperlänge festgelegt.
Durchschnitliche Werte:
Alter 28,7 +- 5,3 Jahre
Gewicht 66,8 +- 15,4 Kg
und Länge 162,8 +- 5,8 cm.
Untersuchungsverlauf und Protokoll:
Alle Frauen machten Fußabdrücke mittels folgender Technik:
In einem Kasten ist eine Mischung aus Puderfarbe und Talkum, hierin stellt sich die Testperson mit beiden Füßen. Anschließend läuft sie über einen flachen Boden auf dem eine Pappe von 1 Meter Breite und 5 Meter Länge liegt. Mindestens 5 Fußabdrücke (das richtige Mittelmaß, nach Meinung der Untersucher) wurden somit gesammelt und mit einem Fixationsspray für spätere Analysen festgehalten.
Mittels dieser Abdrücke konnten verschiedene Parameter gesammelt werden, wie z.B. Winkel und Basis des Gangbildes, Schrittlänge, Fuß-länge. Anschließend wurde ein Transparent mit gleichverlaufenden Linien auf die Pappe gelegt damit die sichtbare longitudinale Verteilung des Fußabdruckes im ganzen und des Hackenabdruckes im besonderen festgehalten werden konnte. Die Ergebnisse wurden mit einer Messlatte von 1,5 Meter gemessen. Die hohe Sicherheit dieser Messmethode wurde in vorherigen Publikationen schon beschrieben. Es wurden jeden Monat neue Fußabdrücke gesammelt bis kurz vor der Geburt. Somit wurden von jeder Probeperson 6 Abdruckserien gemacht.
Resultate und Datenanalyse:
Zur Analyse der Parameter wurde ANOVA gewählt, ein „multivariate repeated measures analysis of variance“ jede individuelle Variable wird unabhängig analysiert. Nach den ersten wiederholten Messungen zeigte ANOVA bemerkenswerte Resultate, die wieder ausgewertet wurden mit der „Tukey´s Methode“:
Deutliche Erhöhung zwischen 1. und 6. Messung von
– Körpergewicht
– Basis Gangbild
– 1. Messung (13. Schwangerschaftswoche) 66,4+-26,4 mm.
– 6. Messung (Kurz vor Geburt) 85,6+-33,8 mm
– ein Zunahme von ca, 30%
Bemerkenswert sind aber die großen Unterschiede der Messungen während der Schwangerschaft, ein Hinweis für die starken individuellen Änderungen . Diese lagen zwischen 15 und 120 mm und die individuellen Änderungen der Schrittbreite lagen zwischen + 70 mm und – 4 mm.
Trotz der Unterschiede zueinander zeigen die statischen Analysen deutliche Änderungen wenn man die erste und sechste Messung miteinander vergleicht.
Keinen Unterschied gab es zwischen Frauen in der ersten Schwangerschaft oder mit früheren Schwangerschaften.
Diskussion
Die Resultate der Untersuchung kommen überein mit vorherigen Hypothesen. Es gab eine deutliche Zunahme der Schrittbreite bei allen untersuchten Frauen. Die Gangbildwinkel änderten sich während der Schwangerschaft nicht so stark. Auch die anderen Parameter zeigten keine großen Veränderungen. Die klinische Bedeutung der Änderung der Schrittbreite und der Stützfläche ist noch nicht deutlich, könnte aber einen Einfluss auf die Stabilität des Gehens haben.
In einer älteren Studie über Fußabdrücke beschrieben Murray u.a. eine durchschnittliche Schrittbreite von 80 mm bei 60 untersuchten Männern und 69 mm bei 30 Frauen. Er gab aber keine Erklärung für diesen Unterschied
Rigas beschrieb eine höhere Schrittbreite bei Älteren zwischen 65 und 90 J. und stellte anschließend fest, das dieses eine Folge des Alterns ist und somit eine schlechtere Funktion der Hüftadduktoren nach sich zieht. Ein Breiterwerden der Schrittbreite kann eine kompensatorische Verbesserung des funktionellen Gangbildes bedeuten.
Auch Kinder mit dem Down-Syndrom oder Kinder die aufgefordert werden bewusst langsamer zu gehen haben eine breitere Schrittbreite. Es gibt 2 mögliche Erklärungen für die Erhöhung der Schrittbreite der in der vorher genannten Studie untersuchtenTestgruppe.
- Kompensationsmechanismus während der Schwangerschaft, weil sich das Körpergleich-gewicht durch die Änderung des Körperschwerpunktes und der hypotonen Ligamente immer an die neue Situation anpassen muss. Eine breitere Schrittbreite bedeutet eine größere funktionelle Stützfläche, somit kann der Körperschwerpunkt auf einer größeren Fläche schwanken.
- Jede Gewichtserhöhung in Höhe der Hüften bedeutet eine Vergrößerung der Abduktionswinkel der Hüfte um somit die Bewegung der Hüfte des Spielbeins zu vergrößern. Eine Erhöhung der Abduktion der Hüfte wird auch bei Männern mit Übergewicht, Spyropoulos u.a. beschrieben
Die Folgen eines funktionellen breiteren Gangbildes bei schwangeren Frauen wird mit der Entwicklung von Unterschenkelpathologien in Verbindung gebracht. Root u.a. stellten fest, dass eine breitere Basis und ein Genu valgum eine kombinierte Folge ist von der Verschiebung des Körperschwerpunktes medial in Richtung des Talus mit dazu eine erhebliche Pronation des Fußes, wodurch die Pathologien entstehen.
Dies wird durch die Untersuchung von Block u.a. unterbaut. In dieser
Untersuchung stellt man fest, dass der Längsbogen bei 13 schwangeren
Frauen abnimmt und das hiermit die Unterschenkelpathologien in
Verbindung gebracht werden können.
Eine größere Untersuchung dieses Problems wäre sinnvoll.
Einschränkung dieser Untersuchung
Es wäre sinnvoll gewesen die Frauen auch vor der Schwangerschaft und eine Weile nach der Geburt noch beobachten zu können. Bei der Untersuchung nach der Geburt hätte man nachprüfen können ob bleibende Fußänderungen entstehen Bemerkenswert ist, dass einige Frauen angaben, dass Ihre Fußstellung und das Gangmuster nach der Geburt tatsächlich dauerhaft geändert ist. Eine andere Einschränkung dieser Studie: die Zahl der Abdrücke pro Person war eingeschränkt und die Abdrücke wurden genommen, wenn die Probeperson gut ausgeruht war. Als Folge des geänderten Stoffwechsels könnte die schwangere Frau schneller ermüden und dies würde das klinische Gangbild deutlich ändern
Schlussfolgerung
Obwohl wir den Eindruck bekommen, das es eine Verbindung gibt zwischen der Bewegungsdysfunktion und den Störungen der unteren Extremität während der Schwangerschaft , sind noch zu wenig wissenschaftliche Untersuchungen nach dem Gangbild durchgeführt. Somit ist ein Ergebnis noch nicht deutlich auszuwerten.
Diese Studie hat gezeigt, das die Schwangerschaft oft eine erhebliche Verbreiterung der Schrittbreite nach sich zieht und das dies eventuell eine Kompensation zur besseren Laufstabilität bedeutet.
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